Page 90 - MOHR Stadtillu - Ausgabe 247 (Juni 2024)
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 FOTOJOURNALIST TILL MAYER ERZÄHLT VOM ALLTAG IN DER UKRAINE
    In den Bunkern an der Front im Donbas halten nicht nur Menschen die Stellung. Katzen und Hunde
stehen ihnen zur Seite.
Sieht romantisch aus: Elena, Oleksii undihr Erast im Kerzenschein bei Stromrationierung. Ein wenig mehr elektrisches Licht und eine funktionierende Heizung würden dem Trio gut tun.
 KAMPF GEGEN DIE GLEICHGÜLTIGKEIT
FOLTER, VERZWEIFLUNG, HOFFNUNG: FOTOJOURNALIST TILL MAYER ERZÄHLT IN „EUROPAS FRONT - KRIEG IN EUROPA“ VOM ALLTAG DER MENSCHEN IN DER UKRAINE – DAMIT WIR UNS NICHT ANS WEGSEHEN GEWÖHNEN (VON ANNE-NIKOLIN HAGEMANN)
ignoriert. Das hat die Invasion mit verschuldet. Wir dürfen nicht wieder den gleichen Fehler begehen. Es wäre fatal.“
Im Vorwort zu seinem Buch erklärt Mayer, warum die in der Ukraine umkämpfte Front Europas Front ist, Putins Krieg ein Krieg gegen unsere Demokratie. Putin, schreibt er, glaube nur an Stärke. Mayer fordert seine Leserschaft auf: „Zeigen wir, dass Demokratie Stärke bedeutet.“
Die Stärke der Menschen in der Ukraine, die Mayer in seinem Buch porträtiert, ist eine leise, eine verzweifelte Stärke. Die Texte und Bilder sind chronologisch geordnet, 22 Geschichten aus zwei Jahren Krieg, die erste und älteste spielt im Juli 2022, der letzte und neueste im Februar 2024. Sie füllen die Punkte auf der Ukraine-Karte, die Daten, Zahlen und Fakten mit Leben. Mit Angst, Mut und Hoffnung.
Da sind nicht nur Soldaten an der Front, das Donnern der Artillerie, das Heulen der Sirenen bei Luftalarm. Da sind auch Vertriebene, die aus ihren Erlebnissen Theaterstücke machen. Seniorinnen, die über Kaffee und Cremetorte kurz Raketen und Trümmer vergessen. Ärztinnen und Mediziner, die Verletzte und Kranke versorgen, auch wenn es sie selbst in Gefahr bringt. Eine zweifache Mutter, die davon träumt, 1000 Tulpen für ihren gefallenen Mann zu pflanzen. Von russischen Besatzern wurde sie über Monate gequält und schwer misshandelt.
Es nervt. Wir wollen die Frühlingssonne genießen, die letzten Schokoeier essen, über Aprilwetter jammern. Vielleicht ab und zu beim Tagesschau-Gucken seufzen, beim Blättern in der Tageszeitung die Stirn runzeln. Und dann: ausschalten, zuklappen, wegsehen.
Wir wollen nicht: über die neuesten Waffentrends nachdenken, über Hilferufe, Todeszahlen. Darüber, dass die ukrainische Grenze einen Tag Autofahrt weit weg ist. Dort herrscht Krieg. Dort liegt „Europas Front“, wie der Titel des neuesten Buchs von OT- Redakteur Till Mayer lautet, das am 5. April
erscheint. Nach „Donbas. Europas vergessener Krieg“ und „Ukraine. Europas Krieg“ ist „Europas Front – Krieg in der Ukraine“ das dritte Buch in fünf Jahren, das er zum Krieg in der Ukraine veröffentlicht hat. Till Mayer nervt uns. Immer und immer wieder. Bis wir hinsehen. Und frösteln in der Frühlingssonne.
Zwei Jahre ist es her, dass mit der vollumfassenden Invasion Russlands in die Ukraine der Krieg eskalierte. Begonnen hatte der Krieg schon zehn Jahre zuvor mit dem Einmarsch russischer Truppen in den Donbas und der Annexion der Krim im Jahr 2014.
„Über 10.000 getötete Zivilisten, Hunderttausende tote Soldaten, eine Zerstörung, die hunderte Milliarden Euro Schaden ausmacht“: Diese Bilanz (seit Beginn der Invasion 2022) stellt Till Mayer seinem Buch voran.
Umfangreiche Zeittafel
Zu Beginn von „Europas Front“ steht, wie schon bei seinen Vorgängern, eine Karte der Ukraine, die zeigt, welche Gebiete in russischer Hand sind oder waren. Und eine Zeittafel, die einen Überblick über die wesentlichen Ereignisse rund um den Krieg gibt. Sie ist lang, sechs von insgesamt 168 Buchseiten: Beginnend mit der pro- europäischen Revolution auf dem Maidan in Kiew, es folgt die Annexion der Krim mit milden Embargo, Russlands militärische Intervention im Donbas seit 2014, das flächendeckende Vorrücken russischer Truppen zu Beginn der Invasion 2022, die Verluste. Aber auch: das Gegenhalten, das Wehren, das Rückerobern.
Der Krieg ist von der vagen Angst zum Alltag und Till Mayer zu einem Chronisten eines Krieges geworden, vor dem er als Berichterstatter aus der Ukraine jahrelang gewarnt hat. „In Deutschland beginnt wieder das Verdrängen“, sagt Mayer, „acht Jahre lang hatten wir einen Krieg mitten in Europa
  Till Mayer gehört zu den wenigen deutschen Journalisten,
die vor der Invasion 2022 Regelmäßig über den Krieg in der
Ostukraine berichteten. Seit der Invasion bereist er monatlich die Ukraine. Foto: Oles Kromplias Das Buch „Europas Front“ ist Anfang April im ibidem-Verlag erschienen,
168 Seiten, ISBN 9783838219394, Online-Bestellung: www.ibidem.eu.
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- STADTILLU FÜR COBURG, LICHTENFELS & KRONACH











































































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