Page 61 - MOHR Stadtillu 246 - Dezember 2023
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  REPORT
   Mykajlayna pflegt ihren schwerstbehinderten Sohn. Unter anderem seine Windeln Bezahlt das aus Deutschland unterstützte Rotkreuz-Projekt.
Liudmyla war im Berufsleben einmal eine Chefin. Jetzt als Rentnerin ist sie auf den Kostenlosen Medikamenten des Rotkreuz-Projekts dringend angewiesen.
hat doch auch Russen töten lassen. Alle haben unter ihm gelitten. Unfassbar, dass sie ihn wieder verehren. Und meine Ukraine, die überziehen sie mit ihrem brutalen Krieg“, jetzt klingt die 90-Jährige traurig.
Das Verhältnis zu ihrem Sohn ist schwierig. „Ich hab schon lange nichts mehr von ihm gehört. Ich weiß nur, er kämpft an der Front. Ich mache mir solche Sorgen um ihn.“ Dann unterbricht sie sanft Rotkreuz-Schwester Luba. Sie misst den Blutdruck ihrer Klientin. Auf dem Tisch liegen die Medikamente gegen den Bluthochdruck, zur Behandlung ihrer Arthrose und für die Stärkung des schwachen Herzens. Ein kleiner Berg aus Schachteln und Verpackungen. „Bis zum 82. Lebensjahr habe ich als Apothekerin gearbeitet. Jetzt habe ich ja fast eine eigene mit meinen Medikamenten“, sagt sie augenzwinkernd.
Doch die Kosten für die Arzneien sind eine große Herausforderung für sie. 5600 Hrywnja (etwa 145 Euro) Rente bekommt die 90- Jährige, das liegt ein paar Euro über der ukrainischen Durchschnittsrente. „Einen Teil ihrer Medikamente erhält Areta kostenlos von einem staatlichen Programm. Einen weiteren Teil durch das Medikamente-Projekt, das ,Helfen macht Spaß' und das ,Badische Rote Kreuz' seit vielen Jahren finanzieren“, erklärt die Schwester. Dank des staatlichen Programms „Bezahlbare Medikamente“ gibt es verschreibungspflichtige Medikamente vor allem für Patienten mit Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Asthma, Diabetes, Epilepsie, Parkinson-Krankheit und psychischen Störungen. Dennoch sind weiterhin lebensnotwendige, effizientere und kostspielige Medikamente erforderlich gerade für ältere Menschen, die nicht auf den Verschreibungslisten stehen.
So ist es auch bei Areta. „1500 bis 2000 Hrywnja (max. 50 Euro) muss ich selber berappen“, erklärt die alte Dame. So bleiben ihr unter 100 Euro im Monat für Strom, Wasser und Lebensmittel. Und das Hundefutter für ihre schneeweiße Sosja. „Es geht irgendwie. Es muss ja. Aber ohne die Hilfe aus Deutschland könnte ich mir nicht alle Medikamente leisten. Ab und an gibt es auch Lebensmittelpakete. Danke für alles“, fügt sie hinzu.
Auch das Gehalt von Luba und sechs weiteren Rotkreuz-Schwestern und -Mitarbeiterinnen wird seit vielen Jahren mit Mitteln eines Projekt des DRK-Landesverbands "Badisches Rotes Kreuz" gestemmt. Die Klientinnen und Klienten wissen, woher die Hilfe kommt.
Die 65-jährige Rotkreuz-Schwester verabschiedet sich. „Was würde ich ohne Luba machen. Wer würde sich geduldig meine Sorgen anhören“, fragt die 90-Jährige mit leiser Stimme. Mit dem Stadtbus geht es weiter zu zwei betagten Schwestern in einem grauen Wohnblock. Auch sie wurden als Kinder nach Sibirien deportiert. „Der
Bauernhof unserer Eltern war groß genug, dass wir den Stalinisten als Klassenfeind galten. Das reichte“, sagt die 78-jährige Mykajlayna. Sie sorgt sich um ihre 92-jährige Schwester Hanna. Mykajlayna sitzt gerade bei ihrer Schwester auf dem Bett in deren kleiner und bescheidener Ein-Zimmer-Wohnung. Hinter den beiden hängt der für ältere Menschen in der Westukraine schon fast obligatorische Wandteppich. Die 78-Jährige wohnt ein Stockwerk tiefer. Draußen weht ein kalter Herbstwind die Blätter von den Bäumen. Luba setzt sich zu den beiden Frauen. Die Rotkreuz-Schwester nimmt den Blutdruck von Hanna. Manchmal gibt sie wenn nötig eine kleine Aufbau-Spritze. Die Blutdruck-Werte heute sind gut. „Das ist doch schon eine schöne Nachricht“, sagt Luba.
Die Rente der beiden ist sogar noch um einiges schmäler als die von Areta, sie liegt immerhin noch ein Stück über den knapp 55 Euro Mindestrente. Die Liste der benötigten Medikamente ist ähnlich lang. Neben Medikamenten gibt es hier die Unterstützung aus Deutschland auch für Windeln. Die braucht Mykajlaynas Sohn, der schwerstbehindert und bettlägrig ist. „Müssten wir die Windeln selber kaufen, bleibt von meiner Rente kaum etwas übrig“, so die 78-Jährige traurig. „Dann müssten wir an Medikamenten sparen. Bei den Lebensmitteln könnten wir nicht mehr viel machen. So habe ich durch die Hilfe eine große Sorge weniger. Der Krieg ist schon schlimm genug“, seufzt sie.
Seit die Temperaturen gegen Null sinken, weitet Russland wieder die landesweiten Raktenangriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine aus. Lwiw liegt ganz im Westen, weit von der Front im Osten und Süden entfernt. Doch Treffer gab es in der Stadt so
manche. Das Heulen der Sirenen ist trauriger Alltag. „Vergangenen Winter hatten wir oft nur für wenige Stunden Strom am Tag. Kein Strom, und der elektrische Geber der Heizung funktionierte auch nicht. Die Wohnung kühlte aus. Es wird wohl auch wieder so kommen. Hoffentlich nicht ganz so schlimm. Jetzt sind wir besser vorbereitet“, sagt Liudmyla tapfer. Sie ist die nächste alte Dame auf dem Weg der Rotkreuz-Schwester.
Die 75-Jährige war einmal eine Leiterin in einem großen Kombinat für elektro- technische Geräte. Jetzt reicht die Rente gerade zum Überleben. Die Seniorin hat schon lange ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Zu mühselig ist es mit dem Rollator für ihren Körper. „Herz, Leber, Arthrose, Bauchspeicheldrüse, Cholesterin, Thrombose. Ich brauche schon sehr viele Medikamente. Einige bekomme ich ohne Zuzahlung von der Poliklinik. Das organisiert Luba für mich. Aber ohne die Medis, die ich kostenlos durch das Rotkreuz-Projekt erhalte, wäre ich mit meiner kleinen Rente verloren“, meint die Seniorin.
„Aber wir wollen kein Trübsal blasen. Der Krieg hat mir einen guten Menschen geschickt. Mein Nachbar ist vor den Kämpfen im Donbas geflohen. Manchmal macht er Besorgungen für mich. Er ist immer nett und so höflich. Und dann weiß ich, ich habe meine Schwester Luba. Ich warte jeden Tag auf sie, damit sie die Einsamkeit kurz verscheucht“, erklärt die 75- Jährige und drückt die Hand der 65-Jährigen fest zum Abschied.
Der Autor und Fotograf Till Mayer berichtet regelmäßig für unsere Redaktion über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Er unterstützt seit vielen Jahre das oben beschriebene Projekt ehrenamtlich.
  FÜR SPENDEN
BRK-Kreisverband Lichtenfels, IBAN: DE 26 7835 0000 0000 0388 85, Sparkasse Coburg-Lichtenfels. Stichwort: „HMS-Ukraine“..
Der Autor: Der Bamberger (Foto-)Journalist Till Mayer berichtet seit vielen Jahren aus der Ukraine. Seit Beginn der großangelegten russischen Invasion 2022 reist er regelmäßig in das osteuropäische Land. Seit über zehn Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für das beschriebene Rotkreuz-Projekt in Lwiw (Ukraine). Im Erich Weiß-Verlag ist sein Buch "Ukraine -Europas Krieg" erschienen (www.erich-weiss-verlag.de).
   Ausgabe 246 61
 













































































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