Annina Dressel aus Ahorn hat sich in Islandpferde verliebt. Die robusten Kleinpferde beherrschen neben den drei klassischen Gangarten zudem auch Pass und Tölt. Letzterer ist für Reiter ganz besonders bequem.

Der Boden ist matschig, es hat frisch geschneit, die Luft ist kalt und klar. Bei Temperaturen knapp oberhalb des Nullpunkts fällt stetiger Nieselregen vom stark bewölkten Himmel und es weht eine leichte Brise. Noch hängt der Großteil des farbigen Laubs an den Bäumen, doch das wird sich bald ändern. Das Wetter im Coburger Land ist eher zum Daheimbleiben und Einkuscheln. Der geschlossene Unterstand mit Vordach aus Holz im Landkreis Ahorn ist verwaist. „Meine Isländer halten sich am liebsten draußen auf der Weide auf“, erklärt Annina Dressel, die mit ihrer Hündin Smilla, einem Australian Shepherd, gerade den Stall ausgemistet hat und nun bei ihren beiden Islandstuten nach dem Rechten sieht.

Oben auf dem Auslauf tummeln sich weitere Islandpferde, die sogleich ihr Spiel unterbrechen und neugierig näher kommen. Ihr dichtes Winterfell hält Nässe und Wind zuverlässig ab. Trotz des Nieselregens, der mit fallenden Temperaturen wieder in Schneeflocken übergeht, fühlen sich die Pferde draußen im Freien sichtlich wohl und probieren sogleich, ob denn auch eine Fotokamera schmackhaft sein kann. Islandpferde sind sehr robust und schlechtes Wetter gewöhnt – schließlich halten sich die Herden in Island ganzjährig im Freien auf. Ihr dichtes Winterfell schützt sie vor Wind, Schnee, Kälte und Regen. „In unseren Breiten sollte man auf einen Unterstand trotz allem nicht verzichten“, erklärt Pferdebesitzerin Annina Dressel.

Die heutigen Islandpferde stammen von den Ponyrassen der Wikinger ab. Im 9. Jahrhundert besiedelten die Nordmänner die Insel nahe des nördlichen Polarkreises und brachten ihre Pferde – Germanen- und Keltenponys – mit. Die Nachkommen dieser Pferde trugen mit ihrem Tölt die Siedler bequem über die unbefestigte Insel. Im Passgang, einer sehr flotten Gangart, konnten zudem große Strecken sehr schnell zurückgelegt werden. Bereits im zehnten Jahrhundert verfügten die Einwohner Islands ein generelles Einfuhrverbot für Pferde. Deshalb gilt die robuste und intelligente Rasse heute als die wohl älteste bekannte Reinzucht der Welt. 
Von den Pferden im Stall der 27-jährigen Annina Dressel aus Ahorn stammen alle bis auf eines aus Island. Aber auch das hat einen isländischen Namen: Es heißt Baldur und ist ein Haflinger. Haflinger sind Gebirgspferde und stammen ursprünglich aus Südtirol. Baldur ist der einzige Südländer unter seinen Artgenossen aus dem hohen Norden und der Dienstälteste in der Herde. „Unsere Isländer sind recht groß“, erklärt Annina Dressel. „Die Pferde haben in der Regel ein Stockmaß zwischen 1,30 und 1,45 Metern, werden aber zunehmend größer gezüchtet.“ Islandpferde können auch Erwachsene und größere Reiter problemlos tragen. „Schwerer als achtzig Kilogramm sollte ein Reiter allerdings nicht sein“, findet sie. 

Und wie wird man Islandpferde-Fan? Erst einmal beginnt alles ganz klassisch: Im Alter von sechs Jahren lernt Annina Dressel das Reiten. Bald kauft sich die Familie einen Haflinger. „Baldur war mein erstes Pferd“, sagt die 27-Jährige. Zu der Zeit habe sie mit Isländern allerdings noch nichts „am Hut“ gehabt. Das ändert sich erst, als sie - wie ihre Mutter und ihre Schwester - ebenfalls Reitunterricht auf Islandpferden nimmt. „Meine Mutter und meine Schwester waren sehr begeistert“, sagt sie. Bei ihr habe es mit der Zuneigung zu den robusten und intelligenten Isländern etwas länger gedauert. Dann aber habe sie das „Islandpferde-Fieber“ richtig gepackt: „Es war eine langsame Liebe, die sehr intensiv geworden ist.“

„Mir gefällt neben der „handlichen“ Größe vor allem der gutmütige Charakter der Islandpferde“, erklärt sie. „Es sind einerseits sehr sensible, temperamentvolle Pferde und trotzdem nervenstark, unerschrocken und verlässlich.“ Außerdem möge sie natürlich auch die „Ponyoptik“: „Kräftiges, kompaktes Gebäude, lange und dichte Mähne und die große Farbenvielfalt gepaart mit tollem Charakter und fünf gut getrennte Gangarten, ergeben für mich das optimale Freizeitpferd.“

Suchtpotential Tölt
Vor allem der Tölt hat es ihr angetan: Islandpferde sind Gangpferde. Viele von ihnen beherrschen neben den klassischen Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp genau wie ihre Vorfahren auch Pass und Tölt. „Es gibt bei den Islandpferden Vier- und Fünfgänger“, erläutert die 27-Jährige. „Tölt ist ein Viertakt in acht Phasen. Ein Bein ist immer am Boden. Dadurch hat man keine Sprung- oder Flugphase und sitzt - anders als beim Trab - erschütterungsfrei im Sattel.“ Das sei für den Reiter sehr bequem. Auch Freundin Annalena Müller reitet gerne im Tölt. Seit ihrer Kindheit frönt die Coburgerin dem Reitsport. „Zwischendurch habe ich eine Pause gemacht“, erzählt sie. Nun sei sie mit den Islandpferden wieder eingestiegen. „Die meisten Reiter finden den Tölt toll“, sagt Annina Dressel. Vor allem, wer schon einmal geritten sei, schätze die Gangart. Tölt habe ein richtiges „Suchtpotential“.

„Passgänger laufen im Zweitakt mit einer Flugphase“, erklärt die Pferdebesitzerin. Dabei bewegen sich die Beinpaare parallel im Takt. „Das geht sehr schnell“. Bei sogenannten Passrennen können sich Passgänger über eine Stecke von 250 Metern in Schnelligkeit messen. 2014 erzielte ein Schweizer mit seinem Islandpferd eine Zeit von 21,59 Sekunden und überbot damit den 2012 in Island gesetzten Rekord. „Pass ist allerdings nur für längere und gerade Strecken geeignet“, informiert Annina Dressel. Ab und zu trainiert sie den Pass auch mit ihren Pferden und zieht ihnen dann vorsorglich einen speziellen Ballenschutz an. „Bei der Gangart Pass besteht durch die weit untertretende Hinterhand die Gefahr, dass sich das Pferd selber tritt. Mit dem Ballenschutz hat es somit einen Schutz an der Vorderbeinen“, erklärt die Pferdehalterin.
Die 27-Jährige hat große Erfahrung mit Islandpferden: „Ich habe viele Islandpferdekurse besucht, Reitunterricht für Gangpferden genommen und bilde mich ständig weiter“, erklärt sie. Nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin fasst sie den Vorsatz, auf jeden Fall mit diesen Pferden arbeiten zu wollen. Ein Jahr lang hilft sie auf einem Islandpferdehof in Rheinland-Pfalz tatkräftig mit und macht ihren Trainer-C-Schein. Dort lernt sie den Umgang mit den unterschiedlichsten Islandpferden, reitet Jungpferde ein, trainiert Verkaufspferde und sammelt wertvolle Kenntnisse beim Umgang mit den Tieren.

Traumpferd aus Island
Mit ihrem Pferd Druna erfüllt sich Annina Dressel im Jahr 2013 einen lang gehegten Traum: Sie kauft die achtjährige, trächtige Stute rein nach Beschreibung und Bild von einer Deutschen, die Isländer vermittelt, direkt in Island und lässt sie nach Deutschland einfliegen. Bei der Reinhaltung der Rasse sind die Isländischen Behörden äußerst strikt. Aus Furcht vor eingeschleppten Krankheiten gilt das Importverbot auch für Islandpferde. „Wenn ein Islandpferd einmal die Insel verlassen hat, darf es niemals mehr zurück“, sagt die 27-Jährige.

„Wir hatten eine tragende Stute und wollten eine zweite mit guter Abstammung und guten Anlagen“, sagt Dressel, „und in Island bin ich fündig geworden.“ Sie gibt zu, dass der Kauf von Druna ein Risiko war: „Aber es war die beste Entscheidung, die ich je hätte treffen können“, sagt sie rückblickend. „Sie ist mein absolutes Traumpferd und charakterlich top.“

Im Jahr 2014 erblickt Drunas Sohn Djákni, der noch in Island gezeugt wurde, das Licht der Welt. Damit sind die ersten Islandpferde „vom Coburger Land“ geboren: Die beiden Fohlen Gilja und Djákni sind jetzt zweieinhalb Jahre alt. Islandpferde können mit rund 35 Jahren sehr alt werden und können in der Regel lange geritten werden. Erst mit rund sieben Jahren sind sie ausgewachsen. Deshalb werden sie - im Vergleich zu anderen Pferden - auch erst recht spät eingeritten. Zwei Jahre muss Annina Dressel also noch warten. Aufs Einreiten freut sie sich heute schon.


Text und Fotos von Katja Nauer