Früher hielten Nachtwächter und Türmer auf den Stadttoren und in der Stadt Coburg Nachtwache. Die Bürger konnten beruhigt schlafen gehen, denn bei Gefahr schlugen die Wächter Alarm. Der Coburger Roland Schäfer schlüpft regelmäßig in die Rolle des Coburger Nachtwächters. Der Kostümführer hat mancherlei Historisches, Gedichte, Anekdoten, aber auch Derbes und Schlüpfriges auf Lager. Er weiß auch, warum der Wunderdoktor Eysenbarth damals aus der Stadt gejagt wurde.

„Der Beruf des Nachtwächters war nicht hoch angesehen“, erklärt Kostümführer Roland Schäfer, „das war früher ganz anders als heute.“ Damals sei der Nachtwächter mit dem Abdecker, dem Totengräber und dem Henker auf eine Stufe gestellt worden. Am 6. August des Jahres 1854 monierten die Coburger Nachtwächter aus dem neuntem Stadtbezirk ihre schlechte Bezahlung beim Magistrat. „Wir haben bei unseren letzten Umgängen wieder so wenig eingenommen, dass wir nicht mehr bestehen können“, heißt es in einem historischen Dokument, das Roland Schäfer im Stadtarchiv ausgegraben hat. „Sehr viele haben uns nur einen Groschen bezahlt, viele, die es wohl könnten, gar nichts“, heißt es in dem Schreiben. Die Nachtwächter Conrad Seidenzuhl und Nikolaus Lorenz schreiben von einem „schweren Dienst“ und bitten den „wohllöblichen“ Magistrat, sie künftig durch ein festes Einkommen besser zu stellen, und bis das geschehen kann, für die erlittenen Verluste eine außerordentliche Unterstützung zu gewähren.

Die Hellebarde diente als Waffe gegen das Gesindel

Heute ist der Coburger Nachtwächter eine angesehene Persönlichkeit in der Stadt. Viele Touristen buchen eine Kostümführung mit Roland Schäfer bei der Coburger Touristeninformation, um hautnah mitzuerleben, was den Berufsstand des nächtlichen Wächters so ausmacht. Vor allem in der dunklen Jahreszeit hat der Coburger Nachtwächter Saison. Schäfer berichtet, welche Funktion der Hüter in einer Stadt innehatte: „Er hat nicht nur Ausschau nach Feuer gehalten“, weiß er, „sondern musste auch unlauteres Gesindel festnehmen und auf die Wache bringen. Der Nachtwächter hatte für Ordnung in der Stadt zu sorgen.“ Ein Hilfsmittel war deshalb die Hellebarde, die er mit sich führte. „Da war ein Beil dran, damit konnte man Hacken, Reißen, Stechen und Ziehen“, erklärt Schäfer. Auch der Kostümführer führt bei seinen Touren zur Demonstration eine solche „Helmbarde“ mit sich – natürlich mit dem Emblem der Stadt Coburg auf dem Holzgriff.

Außerdem gehört ein langer, dunkler Mantel, ein roter Schal, ein Hut, eine Laterne, eine Ledertasche und ein Horn zu seiner Ausstattung. „Mit dem Horn haben Türmer und Nachtwächter Alarm schlagen“, erklärt Schäfer. Außerdem hätten die Statuten der Stadt Coburg im Jahr 1675 vorgeschrieben, dass alle Glockenschläge von St. Moriz durch Hornstöße zu wiederholen seien. „Die Wächter mussten also raus aus ihrer Türmerstube der Morizkirche auf den sogenannten Umgang und um Mitternacht zwölfmal ins Horn tuten.“ Manche hätten ihre Pflicht nicht ganz so ernst genommen, vielleicht weil sie eingeschlafen, vielleicht, weil sie etwas zu viel getrunken hatten. „Jedenfalls ist es öfters vorgekommen, dass es nachts um zwölf elf oder gar dreizehnmal „getutet“ hat“, schmunzelt Schäfer. „Die Bürger haben dem Nachtwächter am nächsten Morgen umgehend seine Pflichtverletzung aufs Brot geschmiert.“ Da gäbe es zum Beispiel die lustige Geschichte zum dreizehnten Tüter auf dem Morizturm.

Vom richtigen Klöß- und Bratwurstmaß

Roland Schäfer hat zahlreiche Anekdoten und Gedichte, viele davon in Reimform, auf Lager, erzählt von den Coburger Spezialitäten wie Schmätzle, Klöße und Bratwürste. „Viele kennen ja das Bratwurstmaß, den Marschallstab des „Bratwurstmännles“, des Schutzpatrons der Stadt, der sich auf dem Rathaus befindet“, sagt der Nachtwächter. Aber vom richtigen Maß für Coburger Klöße erfahren die Besucher von Schäfer erst an der Morizkirche und da darf es auch ruhig einmal etwas schlüpfriger werden. „Das wird von den Teilnehmern beim Rundgang gewünscht“, sagt der Nachtwächter. Ein frivoles Gedicht handelt unter anderem vom ach so kleinen Busen der Eva, der auf keinen Fall als Richtmaß für Coburger Klöße zu gelten habe: „Kocht Klöß, macht fazz’n Trümmer, ihr Weiber für und für, sonst wärn mer dürr wie salla, da an der Kirchentür“, heißt es beispielsweise. Und was hält das Paar in den Händen? „Das sind natürlich rohe Klöße“, schmunzelt Schäfer und lässt gleich noch eine deftige Geschichte vom Stapel: „Auf dem Marktplatz erzählte man sich von einer Coburger Gemüsefrau, die vor Gericht geladen war, weil sie ihre Salate in ihrem Bedürfniseimer gewaschen hatte. Als Sachverständiger sagte auch ein Medizinalrat aus und prangerte die „Gesundheitsschädigung“ an. Zu den ahnungslosen Kunden der Gemüseverkäuferin gehörten der Hofmetzger, der Kommerzienrat und sogar König Ferdinand.“ Doch alles Argumentieren („von meim Kraftsalat is noch kenner krank gewordn“) habe ihr nichts geholfen: „Sie musste ein volles halbes Jahr „brummen“.“

Vom Gästeführer zum Türmer und Nachtwächter

„Anlässlich der 950-Jahr-Feier in Coburg im Jahr 2006 haben wir Gästeführer der Stadt eine Führung geschenkt“, sagt Schäfer. Er habe einen Türmer verkörpert und diverse Geschichten zum Besten gegeben. Acht Jahre später habe man sich an ihn erinnert, als man einen Nachtwächter suchte. Mittlerweile ist Schäfer 76 Jahre alt und blickt auf 25 Jahre Erfahrung als Gästeführer zurück. Bei seiner ersten Führung als Coburger Nachtwächter im Juli 2014 habe er schon „ein bisschen Bammel“ gehabt, gibt er zu. Schließlich gab es im benachbarten Bad Rodach die Attraktion des Nachtwächters bereits schon seit Jahrzehnten. „Die sind alle zertifiziert“, sagt Schäfer, „und ich war quasi ein wilder Nachtwächter.“ 62 Menschen, viele davon aus Bad Rodach, nehmen an seiner ersten Führung teil. Roland Schäfer besteht den Test und erhält von vielen ein typisch fränkische Urteil, das Gefallen ausdrückt: „Des kama a so gelass.“ Aber natürlich ist auch Schäfer ein qualifizierter Gästeführer und hat eine entsprechende Prüfung abgelegt. Außerdem ist er, wie alle seine Mitstreiter, Mitglied im Bundesverband der Gästeführer Deutschlands.
Der Marktplatz, die Steingasse, das Steinweglein, die alte Stadtmauer vom Albertsplatz bis zum Bärenturm, das Areal um die Morizkirche und der Säumarkt gehören zu seinem rund einstündigen Rundgang. Schäfer erzählt gerne Geschichten von der Gasstraßenbeleuchtung, die in Coburg im Jahr 1806 eingeführt wurde. „Sie sorgte für große Diskussion, doch ja nicht in die Ordnung Gottes einzugreifen und die Nacht zum Tage machen zu wollen“, erläutert er. Das gefährde die Sittlichkeit, hieß es. „Vorher hatte man vielleicht Kienspäne zur Beleuchtung hergenommen, ansonsten war es in den Straßen stockdunkel.“

Kurpfuscher Doktor Eysenbarth

Im Juni des Jahres 1713 gastierte der Wunderarzt und Marktschreier Johann Andreas Eysenbarth, dem auch ein Spottlied („Ich bin der Doktor Eysenbarth, widdewiddewitt, bum, bum“) gewidmet wurde, mit einer Bühne auf dem Marktplatz in Coburg und kurierte dort die Patienten. „Er hatte von Herzog Johann Ernst die Privilegienerlaubnis erhalten“, weiß Schäfer. Auf die ihn sonst übliche begleitende Kapelle und laute Musik musste er allerdings verzichten. Vier Wochen lang beehrte der Oberpfälzer Coburg mit seiner Anwesenheit. Dann verstarb ein Sonnefelder, den Eysenbarth behandelt hatte. Außerdem hetzte der Hofapotheker Heinrich Christoph Herzog gegen ihn. „Er machte eine Eingabe wegen Verstoßes gegen die hiesige Apothekerordnung und wegen seines den hiesigen Ärzten verursachenden Schadens“, erzählt Schäfer. Der Doktor und „Kurpfuscher“ Eysenbarth, der nicht mit einem akademischen Doktorgrad ausgestattet, sondern „nur vom Volk promoviert“ wurde, war deshalb den traditionellen Apothekern und Doktoren ein Dorn im Auge. Und so musste der Wunderarzt fluchtartig das Weite suchen und Coburg den Rücken kehren.

Text von Katja Nauer, Fotos: Tourist-Info