Page 66 - MOHR Stadtillu 249 - Oktober 2024
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 FOTOREPORTAGE VON TILL MAYER (TEXT UND FOTOS)
   POKROWSK LIEGT NAHE DER FRONT. SEIT MONATEN DRÄNGT HIER DIE RUSSISCHE OFFENSIVE. DIE MENSCHEN, DIE GEBLIEBEN SIND, ERLEBEN REGELMÄSSIG EINSCHLÄGE. SIE FÜRCHTEN, DASS IHRE STADT STÜCK FÜR STÜCK ZUM TRÜMMERFELD GESCHOSSEN WIRD.
„Aber dann weiß ich“, sie zeigt auf ihr schwer beschädigtes Haus, „Putin dürfen wir nicht trauen. Aber ja, ich habe Angst um meine Stadt, um mein Zuhause. Es ist furchtbar.“ Sie schließt die Gartentür und macht sich mit ihrem Mann auf den Weg. 200 Meter weiter werden Spanholzplatten verteilt. Die Anwoh- ner können sie vor die Fensterhöhlen nageln. Es wird dann dunkel werden in den Zim- mern. Dunkel, heiß und stickig.
Pokrowsk, ein zweites Bachmut? Eine durch russischen Beschuss völlig zerstörte Stadt. Das droht Wahrheit zu werden. Große Teile der ehemals 65.000 Einwohner sind deshalb geflohen. Pokrowsk ist still geworden. Viele Geschäfte sind geschlossen, die Schaufenster durch Sperrholz-Platten geschützt. Noch ist die Zerstörung übersehbar, aber vorhanden und in der ganzen Stadt sichtbar. Vernagelte
Zwei Granaten. Ein Doppelschlag am helllich- ten Tag. Die eine pfeift am Straßenrand in den brüchigen Asphalt. Das Haus dahinter fängt Feuer. Fast einen Tag später riecht es noch immer nach Brand. Der zweite Ein- schlag explodiert in Nachbars Garten. Die Druckwelle der beiden Geschosse reicht aus, um die Fenster der umliegenden Häuser zer- springen zu lassen und Dächer abzudecken. Es sind bescheidene einstöckige Häuser hier im Viertel. Gemauert aus Vollziegeln, oft weiß gestrichen. Verwitterte gewellte Platten auf dem Dach. Ein Zuhause seit Jahrzehnten für zumeist Arbeiterfamilien aus den nahen Kohleminen und örtlichen Fabriken.
Eine Frau steht mit versteinertem Gesicht vor ihrem Haus. „Wir hatten in neue Fenster in- vestiert. Eine hübsche Stange Geld war das“, sie schüttelt wütend den Kopf. Jetzt hängt geborstenes Glas in weißen Plastikrahmen. Darüber ragt das Gerippe des hölzernen Dachstuhls in den heißen Sommerhimmel. Ihr Haus liegt in direkter Nachbarschaft zu den Einschlägen. „Wir waren gerade beim Einkauf, es war ja Nachmittag. Zum Glück. Die Druckwelle und herumfliegende Glas- splitter hätten uns schwer verletzen können“, erklärt sie.
Schräg gegenüber flicken städtische Arbeiter zerrissene Stromkabel, schweißen an gebors-
tenen Gasleitungen. „Es sind nicht die ersten Granaten, die bei uns im Viertel einschlagen. Wir fragen uns alle, warum zielen die Russen auf uns? Hier gibt es keine Kaserne, keine Fa- briken, nur kleine Wohnhäuser“, erklärt die Mitvierzigerin. „Was ich fürchte, am Ende sieht unser Pokrowsk wie Bachmut aus. Ver- lassene Trümmer und Ruinen.“ Dennoch, sie will so lange bleiben, wie es geht. Vor allem, so lange ihr Mann seinen Job in einer Kohle- mine hat. „Wir haben schlicht keine Verwand- ten, wo wir sonst hinkönnten“, sagt sie.
Wie die Zerstörung beendet werden könnte? Sie zuckt mit den Achseln. „Manchmal denke ich, wir sollten mit den Russen verhandeln.“
Artillerie an der Front im Großraum von Pokrowsk
 ZEIT DER ZERSTÖRUNG
  Zvenyslava dient in einem Bradley-Schützenpanzer. Die junge Frau ist Witwe, ihr Mann fiel an der Front.
Arzt Vitaly rettet Nacht für Nacht verwundete Soldaten
in einem Stabilisierungspunkt am Stadtrand von Pokrowsk.
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- STADTILLU FÜR COBURG, LICHTENFELS & KRONACH



















































































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