Page 60 - MOHR Stadtillu - Ausgabe 248
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 FOTOJOURNALIST TILL MAYER ERZÄHLT VOM ALLTAG IN DER UKRAINE
    DIE PATIENTEN KOMMEN AUS DER HÖLLE
CHIRURG DMYTRO BEHANDELT DIE VERWUNDETEN DER BACHMUT-FRONT IN EINEM STABILISIERUNGSPUNKT. NACH ÜBER ZWEI JAHREN KRIEG IST DER MEDIZINER EIN SOLDAT GEWORDEN.
Der Autor dieser Reportage traf Ende März 2023 den Chirurgen Dmytro. Damals befand sich der Stabilisierungspunkt der Frontlinie noch in Taschassiw Jar, um Bachmut wurde heftig gekämpft. Eine Schlacht, die vermutlich zehntausende Soldaten beider Seiten das Leben kostete oder sie zu Krüppeln machte. Wie heute rettete Dmytro Leben. Dmytros Auftrag ist eine Erstversorgung der Verwundeten und die Stabilisierung für den Weitertransport ins Hinterland. Dort werden sie dann in Krankenhäusern und Spezialkliniken operiert. „Die Explosionen der Artilleriegeschosse und verstärkt der Kamikazedrohnen führen zu Polytraumen“, sagt der Arzt. Der Einschlag einer Granate kann mehrfache Verletzungen zur Folge haben: Verbrennungen, der enorme Druck schädigt das Gehör und kann innere Blutungen verursachen, Schrapnelle fressen
Die Gesichter ähneln sich. Müde, abgekämpft, bärtig, Schrecken in den Augen. Wie ein Film liegt der Schmutz auf der Haut. Über Wangen, Kinn und Stirn zieht sich es sich rußschwarz und erdbraun. Ein halbes Dutzend Soldaten taumelt in den Behandlungsraum. Sie kommen frisch von der nahen Front. Die Männer haben die Druckwelle eines Drohneneinschlags überstanden. Explosionstrauma. Sie klagen über einen stechenden Schmerz in ihren Ohren. Andere atmen hörbar schwer und rasselnd. „Oberkörper frei“, sagt Dmytro. Er ist der Chef des Stabilisierungspunkts. Und koordiniert mit klaren Handzeichen.
Sein Team leuchtet in Ohrgänge, zieht
Aufbauspritzen auf. Die Patienten liegen mittlerweile auf Liegen, die Hälfte des Gesäßes ist frei. Pfleger, Schwestern und Ärzte setzen die Spritzen. Als die Nadel die Haut durchsticht, reagiert einer der Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht und einem Aufschrei. So, als würde ihm gerade ohne Narkose ein Bein abgenommen. Eine Überreaktion, Zeichen einer Traumatisierung.
Die Soldaten, die sich durch den Eingang des Behandlungssaals des Stabilisierungspunkts schleppen, kommen geradewegs aus der Hölle der Schützengräben und Stellungen der ersten Linie. Eine dystopische Welt, in der der Tod aus der Luft kommt. Russische Jets
fliegen Angriffe, Kamikaze-Drohnen gehen auf Menschenjagd, dazu dauernd die Artillerie-Einschläge. Die hört man auch im Stabilisierungspunkt. Die nahe Kleinstadt Taschassiw Jar wird von der russischen Armee sturmreif geschossen. So, wie es über Monate mit der benachbarten Stadt Bachmut geschah. Heute ist Bachmut ein Trümmerfeld unter russischer Besatzung. Ein fast menschenleeres Ruinenfeld. Taschassiw Jar liegt strategisch wichtig auf einer Anhöhe. Von dort könnte die russische Artillerie das nächste Ziel unter Feuer nehmen: den Verkehrsknotenpunkt Kostjantyniwka. Taschassiw Jar gehört mit zu den umkämpftesten Orten an der Front in der Ukraine.
  An der Bachmut-Front wird hart gekämpft. Die ukrainischen Truppen müssen mit Munitionsmangel einer russischen Offensive bestehen.
Dmytro überprüft die Behandlung eines Verwundeten im Stabilisierungspunkt.
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- STADTILLU FÜR COBURG, LICHTENFELS & KRONACH






















































































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